Test Polestar 4: Leistung satt – aber keine Heckscheibe
Der Polestar 4 bietet Leistung im Überfluss, hat aber keine Heckscheibe. Ob das ungewöhnliche Konzept aufgeht? Der ADAC hat das Elektroauto als Long Range Single Motor getestet. Alle Infos zu Reichweite und Preisen.
Version mit Heckantrieb und 200 kW im Test
100-kWh-Akku für 535 km Test-Reichweite
Preise starten bei 61.900 Euro
Speziell: Das Konzept des Polestar 4

Dass dieses Auto für Aufsehen sorgen würde, war abzusehen. Ein Auto ohne Heckscheibe? Das hat es bis dato nur bei sehr speziellen Fahrzeugen gegeben, nicht aber bei einem Modell der oberen Mittelklasse. Im Herbst 2023 zeigten die chinesischen Schweden – Polestar gehört zu knapp 80 Prozent der Geely-Gruppe, 18 Prozent hält weiterhin Volvo – das vollelektrische SUV-Coupé der Öffentlichkeit.
Seit Sommer 2024 sind die ersten Autos auf deutschen Straßen zu sehen. Was die potenziellen Kunden erwartet, ist durchaus spektakulär: ein 4,80 Meter langes, 2,14 Meter breites, aber nur 1,5 Meter hohes E-Auto. Ein SUV-Coupé mit einer Anhängelast zwischen 1500 und 2000 Kilogramm.
Was fehlt? Die Heckscheibe!
Beim Zeichnen eines SUV-Coupés werde die Heckscheibe immer in Frage gestellt, sagt Polestar. Um die Coupé-Linie halten zu können, muss die Scheibe extrem flach gestellt werden und büße so zwangsläufig ihre Funktion ein. So entschied Polestar sich dazu, ganz auf den Ausguck zu verzichten und den Blick per Kamera nach hinten zu richten.
Bildergalerie: Der Polestar 4

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So fährt sich der Polestar 4

Schon auf den ersten Metern mit dem Polestar 4 wird klar: Die Kamera als Heckscheibenersatz ist gewöhnungsbedürftig. Ein schneller Blick auf das Display sorgt für einen kurzzeitigen Knick in der Optik. Daran gewöhnt man sich zwar, allerdings muss man dieses Feature wirklich mögen.
Im Test zeigt sich, dass die Augen nach längerer Zeit zudem ermüden. Zum einen fehlen die Tiefeninformationen und zum anderen muss das Auge immer wieder von nah auf fern fokussieren. Die Auflösung der Kamera geht mit ihren 2,5 Megapixeln zudem zwar in Ordnung, ist aber nicht besonders scharf.
Je nach Konfiguration fährt sich der Polestar 4 sehr ambitioniert. Selbst die Basisversion mit 220 kW Leistung ist keineswegs untermotorisiert und schiebt den schwedischen Chinesen ordentlich vom Fleck. Nach 7,1 Sekunden erreicht der Wagen Tempo 100, das sollte wohl reichen. Auch der Zwischenspurt beim Überholen auf der Landstraße gelingt ohne große Anstrengungen.
Wählt man die (gefahrene, aber nicht ausführlich getestete) Top-Version mit 400 kW und Allradantrieb, sieht die Sache noch mal anders aus. Hier zoomt sich der Polestar förmlich über den Asphalt und fasziniert mit einer überaus starken Beschleunigung: 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h sind als rasant zu bezeichnen.
Basismodell mag keine schnellen Spurwechsel

Die Lenkung fühlt sich in allen Fahrmodi etwas synthetisch an. Aus der Mittellage heraus reagiert die Lenkung dagegen sportlich spitz. Das trägt zum Fahrspaß bei. Auf kurvigen Passstraßen macht sich das Coupé nämlich gut. Die 255er-Pirelli-Pilot-Sport-Reifen bieten hervorragenden Grip und vermitteln Sicherheit.
Nur das serienmäßige Stahlfahrwerk beim Basismodell mit Heckantrieb trübt hier den positiven Gesamteindruck. Auffällig ist das nervöse und stark nach außen drängende Heck, wodurch sich im Grenzbereich ein Fahrverhalten einstellt, was nicht ganz ohne ist. Bei konstanter Kurvenfahrt oder spontanem Anlenken reagiert der Polestar brav untersteuernd, jedoch kann der Schein auch schnell trügen.
Spielend leicht lassen sich deutliche Lastwechselreaktionen provozieren, bei denen das lose Heck auszubrechen droht. Im Sportmodus regelt das ESP wenig bis gar nicht. Bleibt die elektronische Stabilitätskontrolle an, lässt sich der Polestar aber flink und sicher durch den ADAC Ausweichtest zirkeln.
Beim Thema Komfort kann aber selbst das Serienfahrwerk mit geregelten Dämpfern für den Alltag überzeugen. Es ist eher entspannt ausgelegt und schluckt größere Unebenheiten auf der Landstraße souverän weg. Kleinere Unebenheiten in der Stadt machen sich dagegen bemerkbar.
Bei den Assistenten patzte der Polestar bei der ersten Ausfahrt. Der adaptive Tempomat mit Spurhaltefunktion quittierte auf der Probefahrt immer wieder den Dienst. Zudem erlaubte der Tempomat keine Geschwindigkeitseinstellung jenseits des registrierten Tempolimits – und das stimmt leider nicht immer.
Zwischendurch erfand der Polestar sogar Geschwindigkeitsbegrenzung auf freier Strecke: Plötzlich war das Tempo auf der Autobahn auf 150 km/h begrenzt. Hier muss der Volvo- und Geely-Ableger noch nachbessern. Beim ausführlichen ADAC Test trat dieses Verhalten nicht auf, dafür mussten die Testerinnen und Tester den adaptiven Tempomaten auf kurvigen Straßen manchmal wieder in die Spur helfen.
Enorme Leistung, hohe Reichweite

Versorgt wird der Motor von einer Lithium-Ionen-Batterie mit einer Nominalkapazität von 100 kWh, die im Fahrzeugboden zwischen den Achsen liegt. Die maximale Ladeleistung beträgt 200 kW, im Test-Schnitt konnte die Batterie an einer Schnellladesäule unter guten Bedingungen 136,5 kW beim Hub von 10 auf 80 Prozent ziehen. Als Ladezeit konnte der ADAC 33 Minuten für die 80-Prozent-Ladung messen. Dann waren 72 kWh nachgeladen, was für 410 Kilometer Aktionsradius reicht.
Die maximale Reichweite gibt Polestar mit 610 beziehungsweise 580 Kilometern an. Der getestete Long Range Single Motor Polestar 4 kommt laut ADAC Messung 535 Kilometer weit. Der Verbrauch lag im ADAC Ecotest bei 20,8 kWh/100 km. Damit holt der Schwede vier von fünf Sternen in der Umweltbewertung.
An AC-Säulen sind bis zu 22 kW Ladeleistung möglich statt der serienmäßigen 11, allerdings braucht es hierfür das sogenannte Plus-Paket für 5500 Euro extra. Ganz schön happig.
ADAC Reichweitenrechner
Polestar 4 Long Range Single Motor 200 kW (272 PS)
-10
30
50
130
Berechnete Reichweite
601km
(Reichweite laut Hersteller: 620 km)
Innenraum in skandinavischem Chic

Der Innenausbau des Polestar 4 steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Alle Materialien sind entweder recycelt oder lassen sich später gut recyceln. Die optionalen Lederbezüge entstammen biozertifizierten Betrieben hauptsächlich aus dem Vereinigten Königreich. Dabei kann die Qualität im Großen und Ganzen überzeugen.
Polestar setzt viel auf geschäumte Flächen und Alcantara, getrübt wird der ansonsten gute Eindruck nur durch Knarzgeräusche beim Anpacken der Verkleidungen und Knacken aus dem Armaturenbrett, wenn die Klimaanlage oder die Heizung arbeitet.
Das Innendesign wirkt klar und aufgeräumt, das Gestühl ist von ausgesuchter Qualität, und insbesondere die Fondspassagiere profitieren vom üppigen Platzangebot.
Die Rückbank verfügt serienmäßig über eine elektrisch verstellbare Lehne, was das Reisen im Fond besonders angenehm machen soll. Leider lässt sich die Bank nur im Verhältnis 60:40 umlegen, eine mittlere "Durchreiche" für längeres Ladegut gibt es nicht. Der Kofferraum ist mit vom ADAC gemessenen 410 bis 1349 Litern nicht riesig, aber ausreichend bemessen.

Wie es bei einem modernen E-Auto üblich ist, spielt auch beim Polestar 4 die Musik auf einem großen tabletförmigen Zentraldisplay im Querformat. Dort lassen sich auch alle anderen Daten und Kommunikationseinrichtungen des Fahrzeugs verwalten und steuern. Der Funktionsumfang des Android Automotive OS Bediensystems ist enorm.
Die Menüführung ist zwar teilweise schlank und verhältnismäßig übersichtlich gestaltet, aber dennoch verfällt man immer wieder in den Trial-and-Error-Suchmodus, da manche Funktionen wiederum nur über das Lenkradtastenmenü erreichbar sind. Auf die Startseite des Menüs lassen sich immerhin hilfreiche Shortcuts legen – haptische Schnellwahltasten wären noch besser.
Die elektrische Einstellung der Lenkradposition (Plus-Paket) erfolgt umständlich über die Lenkradtasten, nachdem im Menü der entsprechende Unterpunkt gefunden wurde – in der Basisausstattung wird intuitiver manuell verstellt. Auch die Außenspiegel sind über die Lenkradtasten nicht intuitiv einzustellen, wobei das entsprechende Menü sowohl über das Zentral- als auch Lenkradmenü erreicht werden kann.
Es gibt keinen separaten Lichtschalter – die Einstellungen für das Fahrlicht sind nur über das Menü erreichbar. Die Lenkradtasten lassen sich nur schlecht bedienen – hier gibt es also aus ADAC Sicht Überarbeitungsbedarf.
Gegen Aufpreis gibt es ein Harman-Kardon-Soundsystem mit vollem Klang aus zwölf Lautsprechern. Wer will, kann noch in die vorderen Kopfstützen integrierte Boxen dazu ordern. Kabelloses Apple CarPlay zur Smartphone-Anbindung ist selbstverständlich.
Polestar 4: Preise starten bei 61.900 Euro
Der Polestar 4 ist kein Schnäppchen: Mindestens 61.900 Euro kostet er mit einem Motor, mindestens 69.900 als Allrad. Dazu gibt es verschiedene Ausstattungspakete mit schönen Namen wie Pilot, Plus oder Performance, die den Preis leicht über die 80.000-Euro-Marke heben.
Mit einem Gesamtergebnis von 2,0 im ADAC Autotest liegt der Polestar 4 auf Augenhöhe mit den etablierten Premium-Konkurrenten. Die Reichweite von rund 535 Kilometern im Test reicht in dieser Klasse für das Mittelfeld.
Lesen Sie hier den ausführlichen Test des Polestar 4 Long Range Single Motor als PDF
Technische Daten und Preise
Technische Daten (Herstellerangaben) | Polestar 4 Long Range Single Motor (ab 08/24) | Polestar 4 Long Range Dual Motor (ab 08/24) |
---|---|---|
Motorart | Elektro | Elektro |
Leistung maximal in kW (Systemleistung) | 200 | 400 |
Leistung maximal in PS (Systemleistung) | 272 | 544 |
Drehmoment (Systemleistung) | 343 Nm | 686 Nm |
Antriebsart | Hinterrad | Allrad |
Beschleunigung 0-100km/h | 7,1 s | 3,8 s |
Höchstgeschwindigkeit | 200 km/h | 200 km/h |
Reichweite WLTP (elektrisch) | 620 km | 590 km |
CO2-Wert kombiniert (WLTP) | 0 g/km | 0 g/km |
Verbrauch kombiniert (WLTP) | 17,8 kWh/100 km | 18,7 kWh/100 km |
Batteriekapazität (Brutto) in kWh | 100,0 | 100,0 |
Batteriekapazität (Netto) in kWh | 94,0 | 94,0 |
Ladeleistung (kW) | AC:11,0-22,0 DC:200,0 | AC:11,0-22,0 DC:200,0 |
Kofferraumvolumen normal | 526 l | 526 l |
Kofferraumvolumen dachhoch mit umgeklappter Rücksitzbank | 1.536 l | 1.536 l |
Leergewicht (EU) | 2.230 kg | 2.355 kg |
Zuladung | 455 kg | 455 kg |
Anhängelast ungebremst | 750 kg | 750 kg |
Anhängelast gebremst 12% | 1.500 kg | 2.000 kg |
Garantie (Fahrzeug) | 2 Jahre | 2 Jahre |
Länge x Breite x Höhe | 4.840 mm x 2.008 mm x 1.534 mm | 4.840 mm x 2.008 mm x 1.534 mm |
Grundpreis | 61.900 Euro | 69.900 Euro |
ADAC Messwerte
ADAC Messwerte (Auszug) | Polestar 4 Long Range Single Motor |
---|---|
Überholvorgang 60 – 100 km/h | 3,3 s |
Bremsweg aus 100 km/h | 38,4 m |
Wendekreis | 12,3 m |
Verbrauch/CO₂-Ausstoß ADAC Ecotest | 20,8 kWh/100 km, 104 g CO₂/km (Well-to-Wheel) |
Bewertung ADAC Ecotest (max. 5 Sterne) | **** |
Reichweite | 535 km |
Innengeräusch bei 130 km/h | 64,4 dB(A) |
Leergewicht / Zuladung | 2244 / 441 kg |
Kofferraumvolumen normal / geklappt / dachhoch | 410 / 868 / 1349 l |
ADAC Testergebnis
ADAC Testergebnis | Polestar 4 Long Range Single Motor (ab 08/24) |
---|---|
Karosserie/Kofferraum | 2,7 |
Innenraum | 2,7 |
Komfort | 2,0 |
Motor/Antrieb | 1,0 |
Fahreigenschaften | 3,1 |
Sicherheit | 1,6 |
Umwelt/EcoTest | 1,6 |
Gesamtnote | 2,0 |
sehr gut
0,6 - 1,5
gut
1,6 - 2,5
befriedigend
2,6 - 3,5
ausreichend
3,6 - 4,5
mangelhaft
4,6 - 5,5
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Text mit Material von SP-X